Gendern als Werkzeug für eine (sprachlich) gerechtere Welt?

Gendern (oder Gendering) bezeichnet den beabsichtigten Gebrauch von gendergerechter Sprache. Oftmals wird die sprachliche Methode als Werkzeug für Feminismus und Gleichstellung der Geschlechter sowie gegen Sexismus genannt. Allerdings fürchten viele bei diesem bewussten Steuern der sprachlichen Vorgaben einen Eingriff in den natürlichen Sprachgebrauch. Daher sind die Meinungen zum Gendern sehr kontrovers.

Gendergerechte Sprache bezeichnet entweder jenen Sprachgebrauch, bei dem männliche und weibliche Personen gleichermaßen abgebildet werden, oder jenen, der alle möglichen Geschlechteridentitäten berücksichtigen kann. Besonders bei Personenbezeichnungen soll die gendergerechte Sprache nach einigen Meinungen verglichen mit dem generischen Maskulinum seine Bedeutung erweitern, indem sie den Adressatenkreis vergrößern könnte.


Was verstehen wir unter dem „Gendern“?

Es ist bei jeder Bundestagswahl, in vielen Talkshows sowie in diversen Artikeln neues Gesprächsthema: das Gendern. Doch was genau umfasst dieses linguistische Phänomen und warum wird es gesellschaftlich und politisch sehr kontrovers diskutiert?

Der Begriff stammt aus dem Englischen – gender ist dort das „soziale Geschlecht“ – und kann ein Verb (Tätigkeitswort) sowie ein Nomen (Hauptwort) benennen. Daher gibt es beide Schreibweisen (Groß- und Kleinschreibung):

  • gendern (Verb)
  • das Gendern (Nomen)

Alternativ werden oft Gendering (englischer Originalbegriff) oder Gendersprache gewählt. Gendergetue, Gender-Gaga, Genderei oder Gendergedöns sind abwertende und stark voreingenommene Namen für das Gendern.

Vorab muss gesagt werden, dass zum Gendern viele verschiedene Methoden und Stilregeln dazugehören können, die einander ausschließen oder sich bedingen. Grundsätzlich wird immer dann gegendert, wenn gendergerechte Sprache angewendet wird.

Apropos Stilregeln: An dieser Stelle empfehle ich immer gerne den mehrsprachigen und praktischen Schreibassistenten LanguageTool. Auf vielen Internetseiten sowie im eigenen Editor lassen sich Texte auf Rechtschreib- und Grammatikfehler prüfen. Darüber hinaus werden Stilverbesserungen und sinnvolle Synonyme vorgeschlagen.


Wie sieht „gendergerechte Sprache“ aus?

Gendergerechte Sprache kann auch als gendersensibles Formulieren, inklusive Sprache und geschlechtsneutrales Formulieren bezeichnet werden. Es meint jedoch immer dasselbe:

Lehrer und Schüler sitzen im Unterricht.

Seit der Genderbewegung stehen in diesem Beispiel die Wörter Lehrer und Schüler in der Kritik, denn diese Formen lassen eine Interpretation zu, dass nur männliche Personen oder männliche und weibliche Personen gemeint sind.

Lehrerinnen und Schülerinnen sitzen im Unterricht.

In diesem Beispielsatz werden die ausschließlich weiblichen Pluralformen (Mehrzahlformen) genannt. Daher gibt es keinen Spielraum, ob auch männliche Personen gemeint sein sollen. Einige Stimmen plädieren für diese Formulierung als generisches Femininum.

Die Kritik kommt demnach daher, dass die maskuline Personengruppenbezeichnung offenbar auch für weibliche Mitglieder stehen kann, aber nicht andersherum. Frauen und Mädchen werden also nicht sprachlich sichtbar gemacht.

Eine weitergehende Kritik zielt auf das Aufbrechen des binären Geschlechtersystems (nur männlich und weiblich); Personen, die sich als divers identifizieren, werden ebenso wenig durch eine Wortwahl sichtbar.

Equality (Gleichberechtigung) ist die zugrundeliegende Motivation für gendergerechte Sprache und das Gendern.

Warum gibt es keinen deutschen Begriff für „Gendern“?

Das Problem der deutschen Sprache ist der Begriff Geschlecht. Während im Englischen beispielsweise zwei Kategorien – sex als biologisches Geschlecht und gender als soziales Geschlecht – existieren, wird auf Deutsch nicht zwischen männlich und weiblich sowie maskulin und feminin unterschieden.

Daher lässt sich erklären, dass wir im Deutschen die Begriffe Gendern oder Gendering verwenden. Ein weiterer Umstand ist die Unterscheidung zwischen Genus (grammatischem Geschlecht) und Sexus (natürlichem Geschlecht), der im Englischen in Bezug auf alle deklinierbaren Wortarten (unter anderem Nomen) keine Rolle spielt.

Auf dem Tisch liegt eine Tasche.

Die beiden Nomen (Hauptwörter) dieses Satzes sind der Tisch und die Tasche. Offenkundig sind beides Gegenstände, somit unbelebt und eine Zuweisung eines natürlichen Geschlechts nicht nötig. Allerdings ist der Tisch ein Maskulinum (grammatisch männliches Nomen) und die Tasche ein Femininum (grammatisch weibliches Nomen).

Bei Personenbezeichnungen fällt nun beides zusammen: Das Genus der Nomen entspricht fast immer dem Sexus der Bezeichneten.

Der Mann – die Männer (Maskulina)
Die Frau – die Frauen (Feminina)

Schon bei dem Wort Mädchen kommt Deutsch an seine Grenzen. Normalerweise wäre nur korrekt:

Hier kommt mein Sohn in seiner Jacke.
Das ist meine Tochter und ihr Teddy.
Kennen Sie das Mädchen mit seinem Fahrrad?

Für das Neutrum Mädchen kommt grammatikalisch nur sein infrage, obwohl logisches Denken davon ausgehen würde, dass die Person weiblich ist und daher folgender Satz stimmen muss:

Kennen Sie das Mädchen mit ihrem Fahrrad?

Außerdem ist der Mensch oder der Star nicht ausschließlich männlich, die Person nicht nur für weibliche Nomen geeignet und bei Leute kann über das Genus gestritten werden, da es erst gar keine Singularform gibt.


Was ist das Problem mit (nicht) gendergerechter Sprache?

Dass inzwischen derart viel über das brisante Thema berichtet wurde, lässt sich auf ein zentrales Problem zurückzuführen: Personenbezeichnung gibt es in der Einzahl oft in männlicher und weiblicher Form (etwa der Lehrer und die Lehrerin). Beide lassen sich auch mühelos in den jeweiligen Plural setzen. Doch sobald von einer Gruppe mit Personen beider  – oder aller – Geschlechter die Rede ist, besitzt die deutsche Sprache derzeit keine Ausdrucksform.

Hinweis

In der Germanistik sprechen wir von movierten Formen, also der Unterscheidung zwischen Nomen zur Benennung von männlichen und weiblichen Personen. In fast allen Fällen wird bei dieser Sexusdifferenzierung ein feminines Suffix an den bestehenden (maskulinen) Stamm angehängt.

Über Jahrhunderte hinweg hat sich die männliche Personenbezeichnung für alle Konstellationen etabliert, was in der Sprachwissenschaft als generisches Maskulinum bezeichnet wird. Doch nicht nur, wenn weibliche Personen auch mitgemeint werden, ist es die übliche Ausdrucksform, sondern auch bei einem unbekannten Adressatenkreis.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass gendergerechte Sprache sensibler im Umgang mit Geschlechtern umzugehen versucht. Allerdings ist der Begriff – ähnlich wie das Gendern an sich – sehr breit auslegbar und die generische Briefanrede Sehr geehrte Damen und Herren einigen nicht ausreicht, um eben auch das Spektrum der nicht binären Geschlechteridentitäten (kurz: divers) abzudecken. Halten Sie es denn somit für ein Werkzeug für eine sprachlich gerechtere Welt?